Rechte Yogis ohne Bindung an die Gesellschaft?
Viele Menschen die Yoga machen fühlen sich zu den Querdenkern, Corona-Skeptikern und Maskenverweigerern hingezogen. Auf Corona-Demos marschieren einige mit den Rechtsextremen und finden nichts dabei. Ein paar beginnen, die Themen der neuen Rechten aufzugreifen, obwohl sie sich selber als politisch Links einstufen. Um das für sich selber verarbeiten zu können, versuchen sie den Links-Rechts-Gegensatz kleinzureden und machen dadurch die Rechtsextremen stärker, die ihre wahren Absichten vertuschen.
Menschen die Yoga machen sollten doch eigentlich in der Lage sein, einer politischen Instrumentalisierung zu widerstehen. Haben wir es also wahrhaftig mit rechten Yogis zu tun, Menschen die wirklich davon überzeugt sind, dass die einen ein besseres Leben verdienen als die anderen? Oder kommt hier eine Bindungslosigkeit zur Gesellschaft zum Ausdruck, die auf einem kollektiven Trauma beruht?
Bruno Latour schreibt in seinem Buch “Das terrestrische Manifest“:
„Der Eindruck von Schwindel, fast Panik rührt daher, dass allen gleichzeitig der Boden unter den Füßen wankt, so als fühle man sich in all seinen Gewohnheiten und in all seinem Hab und Gut angegriffen.“
Warum glauben die Menschen den Corona-Leugnern?
„Weil ihr Vertrauen in die Führung und Elite der Weltwirtschaft verraten wurde. Es gibt keinen Plan für eine gemeinsame Moderne und keinen Wohlstand für alle – im Gegenteil. Alle Modernisierungsanstrengungen der letzten zwei Jahrhunderte drohen zu scheitern Dieses Versprechen wird seit drei Jahrzehnten von den Eliten nicht mehr ernsthaft verfolgt.
Statt dessen geht es den Verantwortlichen darum, möglichst viele Ressourcen abzusahnen, um sich selber besser auf die Apokalypse vorbereiten zu können."
Das Virus hat die tönernen Füße sichtbar gemacht, auf denen unser Wirtschaftssystem ruht. Der Mensch ist von der Umwelt abhängig. Er ist Teil eines uralten Gleichgewichtes, das Fülle und Mangel bereit hält und einige sterben und andere leben lässt. Wie alle anderen Lebewesen war auch unsere Spezies der „Mutter“ Natur viele hunderttausend Jahre lang relativ schutzlos ausgeliefert. Erst in der jüngsten Zeit gelang es, diese Hilflosigkeit und Verletzlichkeit zu überwinden.
Das Virus macht uns deutlich, dass unsere Souveränität gegenüber den natürlichen Einflüssen des Planeten ein Trugschluss ist. Das Erbe unserer Herkunft holt uns ein.
Wir sollten demütig sein und mit dem Überleben unserer Kultur beschäftigt sein. Um das zu schaffen wäre eine neue Partnerschaft mit dem Leben nötig. Doch dieses Maß an Demut können nur sehr wenige von uns aufbringen.
Der Raubbau an der Natur und die industrielle Nutzung von Tieren fördert die Verbreitung von Zoonosen, also von Krankheitserregern die zwischen Tier und Mensch übertragen werden (Link Deutschlandfunk). Und es ist absehbar, dass mit dem Verschwinden der Artenvielfalten und mit der weiteren Verknappung des Lebensraums durch den Klimawandel Viren gefährlicher werden und in immer kürzeren Abständen ihren Marsch um die Welt antreten.
Die gegenwärtige Pandemie wird nicht die letzte sein. Und die Klimakatastrophe hält ein ganzes Bündel weitere Maßnahmen bereit, um uns unsere Verletzlichkeit spüren zu lassen.
Ein Wirtschaftssystem, dass auf Gewinnmaximierung ausgelegt ist, kann in einer endlichen Welt nicht funktionieren. Es zerstört sich selbst. Wir wissen das. Jeder einzelne von uns weiß es. Aber das Kollektiv – also die Gemeinschaft aller Menschen – handelt nicht danach. Diese Tatsache führt zu einem kollektiven Verdrängungsprozess, der wiederum ein Trauma auslöst, sobald die Kräfte der Natur ihre Muskeln spielen lassen. Die gesellschaftliche Krise, die wir im Augenblick erleben ist kein einmaligen Phänomen, dass von alleine wieder verschwinden wird. Sie ist der Beginn einer Eskalation, die von dem meisten nicht erkannt wird. Ein unerkannter Konflikt wird zwangsläufig so lange weiter eskalieren, bis er verstanden wird.
Eine Gesellschaft, die ihre eigene Selbstzerstörung verleugnet, hat keine gemeinsame Basis.
Dies ist der eigentliche Hintergrund der Debatte um Fake-News, alternative Fakten, Filterblasen und angeblicher Manipulation durch die Medien. Die Selbstverleugnung verhindert eine gemeinsame Besinnung auf unsere Grundlagen als Menschen: Respekt, Liebe, Fürsorge und Solidarität.
Statt dessen erleben wir eine Ausdifferenzierung, ganz im Sinne der Agenda der extremen Rechten: Feindseligkeit, Abschottung, Rücksichtslosigkeit und Vereinsamung.
Die Yoga-Subkultur hat sich eigentlich der Heilung und Bewusstwerdung der Menschen verschrieben. Hineingeworfen in ein kollektive Trauma, dem sich die wenigsten psychisch und niemand physisch entziehen kann, fallen viele auf die einfachen Slogans der Menschenfeinde und Egoisten herein. Vernunft, Fortschrittsglaube und Wissenschaft sind von der Selbstverleumdung diskreditiert. Nur so ist erklärbar, dass sich intelligente und wohlmeinende Menschen in dem Netz der "Querdenker" verfangen. Sie folgen Blendern und Nationalisten weil sie sich nicht länger als Teil einer Gemeinschaft betrachten.
Um wirklich etwas bewegen zu können, ist ein Weckruf nötig, der uns allen vor Augen führt, dass wir gerade die Zukunft unserer Kinder verspielen. Unser Wirtschaftssystem muss sich anpassen und in ein Erneuerungsmodus übergehen, der dem Zustand das Planeten angemessen ist. CO2-Neutralität kann nicht auf 2030 oder 2050 abgeschoben werden, sie muss sofort umgesetzt werden. Der Raubbau an der Natur muss unmittelbar beendet werden. Dies sind schmerzhafte Erkenntnisse, die uns allen viel abverlangen werden. Dafür bekommen wir im Gegenzug etwas ganz Großartiges: Kollektive Wahrhaftigkeit.
Und eine angemessene Identifikation als Welt-Gemeinschaft, die sich aufmacht aus ihren Fehlern zu lernen.